Halfterpflicht auf der Koppel – die Versicherung zahlt sonst nicht!

by | 19.08.2019

Ja, richtig gehört! Auf der Koppel müssen die Pferde ihre Halfter aufbehalten, sonst zahlt die Versicherung nicht!

Also…. so behaupten es viele Stallbetreiber (SB) . Und die müssen es ja wissen, oder?

I. Das Mysterium

Vorab: Natürlich ist eine solche Aussage völliger Unfug. Es stellt sich ja zuerst einmal die Frage, welche Versicherung denn überhaupt gemeint sein soll. Denn „die Versicherung“ gibt es ja nicht, man muss das schon ein wenig spezifizieren. Folgen wir einfach mal der Logik und unterstellen, dass es sich um die Betriebshaftpflichtversicherung des Stallbetreibers handelt (in diesem Kontext gerne als „Hütehaftpflicht“ bezeichnet).

Ich will an dieser Stelle gar keine Wertung pro oder contra einer „Halfterpflicht“ abgeben – es gibt für beide Positionen Argumente.  Ich möchte hier nur Klarheit darüber schaffen, dass es versicherungsseitig keine solche Pflicht gibt – inkl. intensiver, mehrstufiger Beweisführung. Wenn Du Einsteller bist, darfst Du Deinem Stallbetreiber gerne den Link zu diesem Beitrag geben. Und Du, lieber Stallbetreiber, bekommst hier Gewissheit, dass Dir nichts passieren kann – auch wenn man es Dir vielleicht anders erzählte.

Randnotiz: Alles, was nun folgt, bezieht sich ebenso auf die private Tierhalterhaftpflichtversicherung!

II. Der Faktencheck

Woher kommt also der Unfug, dass Pferde mit Halfter auf der Koppel zu halten seien?

Man kann hier nur spekulieren. Ich versuche daher alle möglichen Felder aufzugreifen und fachlich fundiert abzuarbeiten.

1.: „Das ist grob fahrlässig – und bei grober Fahrlässigkeit leistet die Versicherung nicht!“

Ja, das mit der groben Fahrlässigkeit stimmt. Versicherungen können die Leistung teilweise oder komplett verweigern, wenn ein Schaden grob fahrlässig verursacht wird. Alle Versicherungen? Neeeiiin, in einem kleinen Dorf namens Haftpflichthausen ticken die Uhren anders!

Gerne wird an dieser Stelle der böse § 81 VVG zitiert. Darin steht das oben Gesagte: Grobe Fahrlässigkeit = ganz blöd = der Versicherer kann die Leistung kürzen / verweigern.

Aber: Dieser Paragraph bezieht sich auf Schadenversicherungen. Eine Haftpflichtversicherung ist aber gar keine Schaden- sondern eben eine Haftpflichtversicherung. Wir sind hier also im falschen Kapitel des VVG unterwegs!

Richtig sind wir beim § 103 VVG. Wer dort nachliest, findet schnell heraus: hier steht ja plötzlich nichts mehr vom grober Fahrlässigkeit!

Wer jetzt mal fix den beiden Links folgt, der kann meine Worte auch sofort nachvollziehen, denn über den Paragraphen bzw. deren Wortlaut steht oben die Gliederung. Während sich § 81 VVG noch im allgemeinen Teil befindet, sind wir bei § 103 schon in einem der speziellen Unterkapitel, in denen die spartenspezifischen Verfeinerungen vorgenommen werden.

Fazit: Nein, daran kann es nicht liegen – grob fahrlässiges Handeln ist mitversichert!

2.: „Ja, dat hat mir der Versicherer so jesacht!“

Erstens: „Dat hat mir einer so jesacht!“ gibbet nich. Im Geschäftsleben gilt: Wer schreibt, der bleibt. Wer etwas behauptet, hat dies zu belegen. Punkt.

Wenn „das so gesagt wurde“, lass Dir das doch bitte mal schriftlich geben. Spoiler: das wird so nicht bekommen. Wenn doch: bitte eine Mail an mich ( dennis add vierpfotenmakler.de).  Sobald ich einen Besen gefressen habe, werde ich mich kostenlos für die Betroffenen darum kümmern. Versprochen!

3.: „Ja, aber dat steht so in meinem Vertrag mit die Versicherung!“

Neeeiiin, tut et nich. Erzähl mir keinen vom Pferd. Gerne darf der Gegenbeweis angetreten werden (auf den übrigens seit Jahren warte).

Faktencheck:

Die Ausschlüsse in der Haftpflichtversicherung finden sich unter Artikel 7 der AHB. Die Überschrift „Ausschlüsse“ lässt auch ziemlich fix darauf schließen. Hinweis: Die AHB sind die „allgemeinen Haftpflichtbedingungen“. Allgemein = gilt für alle = auch für Stallbetreiber.

Steht da was von Halftern? Nein. Es steht da ja auch nichts von heißen 5-Minuten-Terrinen.

Das Einzige, wo man eine Vermutung anstellen könnte, wäre der Hinweis auf behördliche Auflagen, bei denen ein Versicherer zickt. Sind Halfter auf der Koppel behördlich vorgeschrieben?

Nein, sind sie nicht. Thema erledigt.

4.: „Doch, da steht wirklich sowas Komisches in meinem Versicherungsvertrag!“

Okay, okay – eine Möglichkeit haben wir noch: die Obliegenheitsverletzungen. Obliegenheit = mir „obliegt etwas“ = ich habe die (vertragliche) Pflicht, bestimmte Dinge zu tun / zu unterlassen.

Solche Obliegenheiten finden wir tatsächlich in den AHB. Es gibt drei Arten von Obliegenheiten, die einzuhalten sind:

  • die vorvertraglichen
  • die vor Eintritt eines Schadens
  • die nach Eintritt eines Schadens.

Prüfen wir mal der Reihe nach, ob das hier zutreffen kann. Spoiler: nö. ;o)

Was ist vor Vertragsabschluss zu beachten? Zitat aus den AHB des GdV (Mustervorlage):

Der Versicherungsnehmer hat bis zur Abgabe seiner Vertragserklärung dem Versicherer alle ihm bekannten Gefahrumstände anzuzeigen, nach denen der Versicherer in Textform gefragt hat und die für den Entschluss des Versicherers erheblich sind, den Vertrag mit dem vereinbarten Inhalt zu schließen.

Fragen Versicherer im Antrag, ob die Pferde auch immer schön artig mit Halfter auf der Koppel stehen? Nein, tun sie nicht.

Thema erledigt.

Was ist vor Eintritt des Schadenfalls / während der Vertragslaufzeit zu beachten? Zitat aus den AHB des GdV (Mustervorlage):

Besonders gefahrdrohende Umstände hat der Versicherungsnehmer auf Verlangen des Versicherers innerhalb angemessener Frist zu beseitigen. Dies gilt nicht, soweit die Beseitigung unter Abwägung der beiderseitigen Interessen unzumutbar ist. Ein Umstand, der zu einem Schaden geführt hat, gilt ohne weiteres als besonders gefahrdrohend.

Auch hier gilt: Wurde im Antrag nach den Halftern gefragt? Nein? Dann ist dies auch zu keinem späteren Zeitpunkt relevant.

Zum letzten Satz: Kann das Fehlen eines Halfters einen Schaden auslösen?

Nein, kann es nicht. Wenn, dann haut ein Pferd von der Koppel ab. Dies macht es mit oder ohne Halfter. Sein außerplanmäßiges Verlassen der Spielwiese wird in keiner Weise von der Anwesenheit / Nichtanwesenheit eines Halfters beeinflusst. Primärer Auslöser aller möglichen Schäden ist aber ganz alleine das Ausbrechen des Pferdes aus der Koppel. Das man ein Pferd mit Halfter leichter wieder einfangen könne, spielt hier keine Rolle.

Mit der gleichen Logik kann man auch alle andere Schadenszenarien überprüfen, hier ein paar Beispiele:

  • Verkloppt ein Pferd mit Halfter seine Koppelgefährten weniger als ohne?
  • Greifen Pferde mit Halfter weniger häufig Menschen an als die ohne?
  • Rauchen Pferde ohne Halfter öfter heimlich Zigaretten als die mit Halfter?

Die Antworten lauten alle: Nein. Es besteht keinerlei Kausalität.

Also: Thema erledigt.

Was ist nach Eintritt des Schadenfalls zu beachten? Zitat aus den AHB des GdV (Mustervorlage):

25.1 Jeder Versicherungsfall ist, auch wenn noch keine Schadensersatzansprüche erhoben
worden sind, dem Versicherer innerhalb einer Woche anzuzeigen. (…)

Hat nichts mit der Sache zu tun.

25.2 Der Versicherungsnehmer muss nach Möglichkeit für die Abwendung und Minderung des
Schadens sorgen. (…)

Hat nichts mit der Sache zu tun.

25.3 Wird gegen den Versicherungsnehmer ein staatsanwaltschaftliches, behördliches oder
gerichtliches Verfahren eingeleitet, (…)

Hat nichts mit der Sache zu tun.

25.4 Gegen einen Mahnbescheid oder eine Verfügung von Verwaltungsbehörden auf Schadensersatz muss der Versicherungsnehmer fristgemäß Widerspruch (…) einlegen. (…)

Hat nichts mit der Sache zu tun.

25.5 Wird gegen den Versicherungsnehmer ein Haftpflichtanspruch gerichtlich geltend gemacht, (…)

Hat nichts mit der Sache zu tun.

Und wieder: Thema erledigt.

5.: „Dat steht wirklich so in meinem Vertrach mit die Versicherungse! Ich schwör!“

Okay. Der SB hat also eine einzelvertragliche Sondervereinbarung mit dem Versicherer. Ja sicher doch.

In dem Fall gilt: Bitte einmal zum Ordner gehen, die Vereinbarung raus holen und mir zeigen. Ich fresse an Ort und Stelle unter zeugen einen Besen. Doppelschwör!

Und noch einmal: Thema erledigt.

III. Zusammenfassung:

Einwand Nr. 1: Grobe Fahrlässigkeit: irrelevant.

Einwand Nr. 2:  mündliche Aussagen sind irrelevant.

Einwand Nr. 3: im Antrag wird nicht nach Halftern gefragt, also ist es irrelevant.

Einwand Nr. 4: was im Antrag nicht abgefragt wird, ist auch später irrelevant.

Einwand Nr. 5: Obliegenheitsverletzung: irrelevant / nicht zutreffend.

Einwand Nr. 6: es handelt sich um eine einzelvertragliche / individuelle Vereinbarung: theoretisch möglich, praktisch undenkbar, da dem Sinn der Versicherung konträr gegenüberstehend.

IV. Fazit:

Solche Aussagen sind absoluter Unfug. Pferde müssen nicht mit ihrem Halfter auf der Koppel stehen. Man kann, muss es aber nicht machen.

Gleiches gilt auch für alle die behaupten, Du müsstest Deine eigene Tierhalterhaftpflicht hinsichtlich der „Halfterpflicht“ prüfen. Es ist und bleibt völliger Blödsinn. Die Beweise habe ich hier ja ausführlich geliefert.

Foto: Die lustige Schute zieht für uns: Herr Geysir frá Kópavogi. Vielen Dank für die Genehmigung zur Verwendung an Adda-Marie!