Dieser Beitrag wird wohl mein persönlichster, da ich ihn auch für mich selbst schreibe — um die zum Zeitpunkt der Niederschrift noch frischen Erinnerungen einzufangen und festzuhalten: die Geschichte zu meinem Stütchen Rose (oder auch “Dornröschen”).
Achtung, Schleichwerbung: Der Kollerhof
Inhaltsverzeichnis
Es fing alles damit an, dass uns vor einigen Jahren ein befreundetes Paar von einem Reiterhof vorschwärmte: dem familiengeführten Kollerhof in der Oberpfalz, gelegen kurz vor der tschechischen Grenze. Wir folgten dieser Empfehlung — und kamen ebenso schwärmend zurück. Fuhren wieder hin. Und wieder, wieder, wieder…
Die Pferde dort sind (fast) alle sehr menschenbezogen und trotz des Trubels um sie herum einfach nur unfassbar nett. Das Schöne an einem Urlaub auf dem Kollerhof ist — neben unzählig vielen anderen Punkten, u. a. der unfassbar familiären Stimmung — die Tatsache, dass man dort zig verschiedene Pferde reiten kann. In den Hochphasen werden die Pferde nach einer Art Zufallsprinzip zugelost, um Gerechtigkeit zu wahren. Eines Tages im Jahr 2019 fiel das Los für mich auf den mir bis dato unbekannten “Charon”.
Damit nahm das Schicksal seinen Lauf…
Charon
“Oh, Du Ärmster!” — in den Augen des fremden Mädels neben mir spiegelt sich aufrichtiges Beileid. Sie hat mir eine Hand auf die Schulter gelegt und bemitleidet mich, weil ich “Charon” reiten muss. Der sei so hart, würde den Rücken knallhart wegdrücken, da sei kein Durchkommen, usw…
Nun gut, ich tiger los und hole seinen Sattel. Bei der Trense liegen Ausbinder, welche ich liegen lasse. Dies bekommt eine Angestellte mit und sagt, ich solle sie “…mal lieber mitnehmen!”. Auf meinen Hinweis, dass ich es nach 20 Jahren Reiterei so halbwegs hin bekommen sollte, ein Pferd an die Hand zu reiten, wiegt sie den Kopf hin und her und sagt “Nimm mal lieber mit, glaub´s mir!”. Gut, ich nehme sie mit. Mir schwant Übles…
Charon stand damals in einem Stallgebäude etwas abseits der anderen. Ich betrete das Gebäude und sehe ihn: Ein Schecke. So um die 1,60m. Mein erster Gedanke: “Ach Du Scheiße, so ein Indianer-Pferdchen im Yakari-Stil. Das ist doch nichts für mich…!”.
Im Umgang zeigte er sich sehr freundlich und ich schloss mit ihm einen Deal (ich habe wirklich mit ihm gesprochen, sinngemäße Wiedergabe): “Pass auf mein Bub, ich sehe Dir an der Nasenspitze an, dass das ganze Theater hier nichts für Dich ist. Folgender Vorschlag: Ich tu Dir nichts, Du tust mir nichts. Wir arbeiten gleich einfach nur ganz locker darauf hin, dass ich heute Abend von einem netten Pferdchen berichten kann und dass in Deinem Fazit des heutigen Tages steht, dass unter allen Deiner heutigen Reiter mindestens ein halbwegs erträglicher Depp war, der Dich nicht krampfhaft in irgendeine Haltung pressen wollte. OK?!”
Hoppla — was ist das denn?
Ich erinnere mich bis heute an die erste Sekunde, als ich Charon anritt. Es harmonierte von der ersten Sekunde an, die (von mir sowieso nur widerwillig eingeschnallten) Ausbinder hingen sofort durch, es lief wie am Schnürchen. Dies entging auch dem damaligen Reitlehrer nicht, der uns nach einiger Zeit mit den Worten “Hey Du da auf dem Charon! Mensch, dass sieht ja richtig gut aus mit Euch beiden! Komm doch mal hier auf den Zirkel!” zu sich orderte… Am Ende ritt ich ohne die Ausbinder weiter — mit dem Wissen, dass das, was ich da gerade passierte, eher ungewöhnlich war.
In der folgenden Zeit ritt ich ihn immer wieder. Die Frage, welches Pferd ich gerne reiten würde, konnte gefühlt jeder auf dem Kollerhof aus dem FF beantworten.
Ich kündigte dem Hofbetreiber mein Kaufinteresse an Charon an, welches zur Kenntnis genommen wurde. Wie ich inzwischen wusste, war er ein Trakehner und somit als Schecke eine Rarität. Alle sagten mir, dass ich mir den Traum, dieses Pferd kaufen zu können, am besten gleich abschminken solle. Eher würde der Mond viereckig, als dass Charon verkauft würde.
Zwischenspiel: Das Foto
Zwischenzeitlich begab es sich, dass sich meine Eltern zufällig in der Oberpfalz befanden, sich an meine begeisterten Erzählungen erinnerten und somit einen Abstecher zum Kollerhof unternahmen. Sie sendeten mir ein Foto aus dem Landgasthof und fragten. “Na, wo sind wir wohl?”.
Ich lotste sie zum Stall, in dem dem Charon stand. Ich bekam Fotos gesendet. Meine Antwort beim ersten Foto: Neeee, falsch, das ist nicht Charon! Das ist seine Schwester Rose!
Im Nachhinein betrachtet, wirkt das fast schon wie ein Omen.
Covid-19
Dann kam Corona. Unsere Besuche auf dem Hof beschränkten sich auf kurze Zwischenstopps während unserer “Vierpfotenmakler-Wohnmobil-Touren”. Sie führten uns schließlich immer wieder in die Oberpfalz, weil dort auch Geschäftskollegen ansässig sind.
Bei einem der nun seltenen Besuche erfuhr ich, dass Charon entgegen aller Voraussagen verkauft worden war. Meine Enttäuschung war natürlich groß und ich weiß noch, dass ich in dem Augenblick keinerlei Lust mehr verspürte, nun irgendein anderes Pferd zu reiten…
Dann nimm doch mal die Rose, die ist auch toll…!
Der mir unterbreitete Vorschlag lautete “Nimm doch mal die Rose, die ist auch toll!”. Na super. Welch ein Trost. Gut, immerhin ist sie seine Schwester, es bleibt also alles in der Familie. Haha, Schenkelklopper.
Ich pflücke also Rose aus dem Stall. Rose ist mir all die Zeit davor natürlich aufgefallen, schließlich stand sie im gleichen Laufstall. Sie begrüßte mich immer freundlich — aber viel mehr war da nicht. Ich war ja schließlich auf Charon fixiert, also hatte ich sie weitestgehend ignoriert.
Rose folgt mir zum Putzplatz und ich nehme mir — wie immer — kurz Zeit, um vor dem Putzen, Satteln und Reiten ein wenig “Smalltalk” mit dem mir bis dato weitestgehend fremden Pferd zu betreiben. Jo, hübsch ist sie ja wirklich. Und so freundlich…
Beim Putzen zeigt sie sich sehr sensibel und leicht hibbelig.
Ich taste mich also vorsichtig vor und nähere mich ihrem Bauch. Neben mir kommt die Warnung “Aaaachtung, das ist ihre private Zone!” — aha. Das will ich sehen. Ich muss Grenzen ja immer ein wenig austesten und schüttle gerne an Ohrfeigenbäumchen.
Ich wandere also mal weiter in Richtung “echte private Zone”, sprich: zum Euter. Von hinten kommt noch eine Warnung “Aaaachtung, die kickt gleich!” (sie hob tatsächlich ein Hinterbein). Sekunden später steht Rose auf drei Beinen schnorchelnd neben mir und bettelt um mehr Kraule- und Kratz-Einheiten in der gar fürchterlich juckenden “privaten Zone”. Ich komme aus dem Lachen nicht mehr heraus — ein “Beim-Kraulen-Beinchen-Heber”! Zu geil. Irgendwie ist sie ja echt ne coole Socke. Und so hübsch. Und so sympathisch…
Der Tanz
Wenn ich etwas mache, dann immer richtig. Ich hasse halbgare Dinge und ich kann nicht mit Menschen umgehen, die heute dies und morgen jenes machen. Ich mag Geradlinigkeit, Beständigkeit, Kontinuität — ohne Missachtung der nötigen Portion Flexibilität und Mut zur (angebrachten!) Veränderung sowie dem immer wichtigen Blick über den Tellerrand. Aber Wankelmütigkeit hasse ich wie die Pest. Wenn ich sage “Charon ist voll das Traumpferd” dann meine ich das auch so.
Rose hatte als Charons “Quasi-Nachfolgerin” dahingehend einen schweren Stand bei mir. Ich betrachtete sie einfach nur als “ganz normales” Pferd. Ich kam nicht einmal im Ansatz auf den Gedanken, dass hier “mehr” drin sein könnte. Das wäre ja auch völlig abwegig…!
Dann saß ich drauf und ritt sie an — der Beginn eines ca. einstündigen Déjà-vu… Es dauerte ein wenig, bis ich mir selbst eingestehen konnte, was da unter mir passierte… dass es mit ihr noch besser harmonierte als mit Charon. In meinem Hirn wuselten Wahrscheinlichkeitsrechnungen, die mir alle sagten, dass das, was ich da gerade fühlte, doch gar nicht sein könne. Die Kommunikation war so fein, jede noch so kleine Hilfe wurde sofort und schlagartig umgesetzt, ja geradezu vorhergesehen! Sie hat dieses genau passende Maß an Vorwärtsdrang — bei einem Auto würde ich sagen “Hängt perfekt am Gaspedal”. Dazu dieses unfassbare Gefühl “zu Hause” zu sein. So einen Zufall kann es doch gar nicht geben…!
Rechte Hand, Zirkel.
Mein Hirn: “Ui, also genau jetzt wäre der richtige Zeitpunkt zum…
Rose: Galopp? Ei sicher. Ist es so gut? Ja? Ja? Und jetzt?
Hirn: Hirn an Hüfte…
Rose: Zirkel verkleinern? Erledigt! Und jetzt?
Bauch an alle: Hihi, ich fühle was, was ihr nicht fühlt! Ätschebätsch!
Hirn an Hand: Zügel rauskauen lassen. Hirn an alle: Notfallmodus. Pferd bremsen, Schritt reiten. Macht mal kurz alleine weiter. Ich muss neu starten… Bin gleich wieder da… *prfz*
Und? Wie isse?
Die Gruppen-Reitstunde ist zu Ende. Kommandos seitens der Reitlehrerin in meine Richtung gab es nur ein einziges Mal. Sie gab mir einfach den Raum, den wir brauchten und lies mich gewähren — man kennt sich ja schließlich.
Ihre Abschlussfrage war ein von einem leichten Grinsen begleitetes “Und? Wie isse?”.
Ich antwortete gespielt cool “Genau wie Charon!” — und ernte in der bewusst gesetzten Kunstpause einen misstrauischen Blick. “…nur NOCH besser!” — Grinsen, Nicken, Ende der Stunde.
Ich fühle mich wie beschwipst und kann diesen Zufall echt nicht fassen… Schade, dass sie nicht zum Verkauf steht!
Ein kleiner Zeitsprung:
Die letzte Reitstunde mit ihr (in diesem Urlaub) war besonders lustig: Nach dem Aufsteigen blieb Frau Pferd erst einmal auf der Mittellinie stehen, hob den Schweif — und aus der Richtung der Reitlehrerin kam nur ein “Oh, oh!”. Ich schaue nach hinten. “Oha, isse rossig?” — “Ja.” — “Und?” — “Mmmh, joa, mach einfach mal!”.
Ich reite los.
Am Ende der Stunde gebe ich zu Protokoll, dass Frau Pferd schon ein wenig anders war. Wir kamen tatsächlich einmal kurz ins Diskutieren, inkl. einem Ansatz eines Steigens, Quietschen — Stute halt. Unterm Strich war aber alles supi. Da war nichts, was mich jetzt ernsthaft irritiert hätte. Die Antwort der Reitlehrerin “Da kannste froh sein — normalerweise rammt sie dann alle vier Beine in den Boden und geht keinen Millimeter vorwärts. Ich habe da schon Leute heulend vom Pferd runter holen müssen!”.
Das fand ich dann doch schon witzig und zugleich irgendwie nett, dass auch in “kritischen” Zeiten die Chemie zwischen uns zu stimmen scheint.
Zeitsprung Ende.
Handschlag
Nachdem ich sie einige weitere Male geritten war, hatte ich definitiv Herzchen in den Augen und wollte nun kein Risiko mehr eingehen. Ich schnappte mir eines Abends den Betreiber des Hofes und sagte ihm ganz deutlich, dass ich — sollte Rose jemals zum Verkauf stehen — ernsthaftes Interesse hätte. Er solle wirklich — also so ganz wirklich! — an mich denken, wenn es jemals so weit sein solle. Zusätzlich drückte ich ihm eine Visitenkarte in die Hand und lies mir unsere Übereinkunft per Handschlag “besiegeln”. Ich hatte Rose inzwischen richtig lieb gewonnen, auch anderen um uns herum fiel auf, dass es zwischen uns “irgendwie passt”.
Dennoch war das Ganze bis dato nur eine Utopie. Es stand immer noch die Unverkäuflichkeit im Raum — zugleich war mit Charons Verkauf aber auch bewiesen, dass dieser Punkt ins Wanken geraten war. Die Gründe lagen auf der Hand: Er war definitiv nicht für den Unterricht gemacht; der sensible Trakehner ist ja tendenziell eher ein Ein-Mann-Pferd. Genau dies war bei Rose ebenfalls zu spüren — und zwar sehr deutlich. Aus dem vorsichtigen Traum wurde dadurch eine klitzekleine Zuversicht.
Inspiration
Im Reiterlädchen des Kollerhofs kann man auch Postkarten kaufen. Auf diesen sind jeweils vier Pferde des Hofs abgebildet; auf einer dieser Karten war Rose zu sehen. Ich nahm mir bei unserer Abreise spontan eine dieser Karten mit.
Sie hängt seitdem an meinem Memo-Board im Büro, direkt neben meinem Schreibtisch. Auf die Frage anderer, warum diese Karte dort hängt, lautete meine Antwort: “Inspiration”. Sie wurde zu meinem (zusätzlichen) Antrieb, immer etwas mehr zu leisten als andere. Der (zusätzliche) Antrieb, unser Unternehmen mit aller Kraft an den Punkt zu treiben, an dem auch ich mir endlich ein Pferd leisten könnte. Mein größtes Problem war schließlich immer der Faktor Zeit. Wie soll das mit einem eigenen Pferd klappen, wenn man von morgens bis abends (teils nachts) zeitlich eingebunden ist?

Ich hielt es bis dato für realistisch, meinen Traum ab 2023 umsetzen zu können. Ebenso hielt ich es für realistisch, dass Rose ab diesem Zeitraum vielleicht — ganz vielleicht? — zum Verkauf stehen könnte.
Zusätzlich brachte mir unsere Tochter Fine einen Aufkleber. “Schau mal Papa, das Pferd sieht so ein bisschen aus wie die Rose! Das kannst Du Dir ja auch aufhängen, dann kannst Du immer an sie denken!”… Wie niedlich, oder? Zack, schon hing (und hängt) der Aufkleber darüber.
Was einige Monate später kommen sollte, hätte ich nicht zu träumen gewagt.
Emotionaler Overkill in vier Akten
Erster Akt: Buchungsfehler
Ich schenkte meiner holden Dame — ganz uneigennützig, versteht sich — zu Weihnachten u. a. eine Woche Urlaub auf, na wo bloß? Richtig: auf dem Kollerhof. Bei der Buchung kam es es aber, wie sich bei unserer Ankunft in der ersten Januarwoche 2022 herausstellte, zu einem Irrtum: wir hatten eine falsche Ferienwohnung bekommen. Schnell wurde nachgeschaut, ob eine spontane Umbuchung auf eine andere Unterkunft möglich sei.
Dabei fiel der zuständigen Dame der vorangegangene Mail-Verkehr auf. Sie schaute mich an: “Ach, Du bist doch “der mit der Rose”!”. Und weiter: “Mensch, da musst Du vielleicht mal den Chef ansprechen — mit der Rose läuft es bei uns nicht so ganz rund…”.
Das Problem bestand u. a. aus dem, was ich oben schrieb: Rose war für einen Schulbetrieb mit ständig wechselnden Reitern zu sensibel. Dazu kam, dass sie zwischenzeitlich in den Laufstall umzog, dort sehr rangniedrig war, permanent getriezt wurde, einen entsprechenden Stress-Level hatte und immer wieder Verletzungen aufwies.
Der Hinweis, dass aus diesen Gründen das Wort “Verkauf” bereits laut ausgesprochen worden war, sorgte für einen ersten signifikanten Anstieg meines Pulses.
Zweiter Akt: ein folgenreiches Abendessen
Am Abend des gleichen Tages saßen wir im Landgasthof des Kollershofes. Wie nahezu immer fand sich auch der bereits erwähnte Inhaber des Hofes an seinem Stammplatz ein, schaute zu uns rüber, erkannte uns und grüßte.
Kurze Zeit später stand er auf und — kam auf unseren Tisch zu. Puls: +50.
Mit den Worten: “Hey Dennis, ich glaub, wir müssen mal über die Rose reden!” stellte er seinen Humpen Bier auf dem Tisch und setzte sich zu uns. Meine Miene: versucht cool. Die Wahrheit: Puls + 300 und der innere Drang, mich ihm sofort heulend um den Hals zu werfen und “Biiitte, biiitte gib sie mir” jammern.
Ich versuchte aber — warum auch immer — meine Aufregung zu verbergen. Ich konnte irgendwie kaum gerade aus denken, irgendwie ging das jetzt alles so schnell, wurde so schnell ernst. Da kam mein Hirn nicht mit.
Der Verlauf des Abends sollte noch — völlig losgelöst vom Thema Rose — drastische Züge annehmen. Ich verlies als Letzter den Laden, zusammen mit einer der Bedienungen. Gefühlt haben wir zusammen die halben Schnapsvorräte des gesamten Hofes vernichtet. Es erwartete mich der Kater meines Lebens und — dem Alkohol sei Dank — die vorläufig letzte Nacht, in der ich durchschlafen sollte.
Der Morgen danach
Am nächsten Morgen suchte ich den Inhaber des Kollerhofs auf. Ich ließ die Fassade Fassade sein, wir sprachen Klartext, wurden uns innerhalb von Minuten einig, Handschlag, fertig.
Spaziergang mit den Hundis. Headset rein, Telefonieren. 10 Minuten später war der (vorläufige) Einstellplatz klargemacht. Nächstes Telefonat: AKU vereinbaren. Hier lief es schleppender: der TA war im Urlaub, würde erst Anfang der kommenden Woche wieder zurück kehren. Ich weiß noch, dass sich während der Telefonate, wo ich die neue Tatsache erstmals offen aussprach, alles um mich herum und der Boden unter mir so unwirklich anfühlte. Ich fühlte mich wie in Trance (oder anders: als hätte ich ordentlich einen gekifft — aber wie sich das anfühlt, weiß ich natürlich nur von einem guten Freund).
Die nächsten Tage
Die nächsten Tage wollte ich gar keine anderen mehr Pferde reiten. Rose selbst fiel dummerweise aufgrund einer Verletzung am Auge aus. Was zeitgleich aber dazu führte, dass sie zum einen aus dem Laufstall herausgenommen und in eine Box versetzt wurde. So kam sie endlich ein wenig zur Ruhe. Zeitgleich nahm ich mich ihrer an, putzte sie, leistete ihr Gesellschaft, führte sie Schritt, ging mit ihr spazieren, usw… Auf dem gesamten Hof war schlagartig bekannt, dass Rose nun bald mir gehören solle — es stand ja nur noch die AKU aus. Gefühlt sprach mich jeder darauf an, ich kam kaum noch von A nach B ohne aufgehalten zu werden. Ich war nur noch “Der, der die Rose mitnimmt”. Irgendwie war alles nur noch rosarot, fühlte sich zugleich weiterhin aber so unwirklich an.
Mich zog es immer und immer wieder in den Stall, ich konnte gar nichts anderes mehr machen, als ihre Nähe zu suchen. An Schlaf war kaum noch zu denken, meine Holde wurde aufgrund meiner nächtlichen Unruhe fast wahnsinnig. Ich marschierte morgens noch im Dunklen bereits wieder zum Stall, hatte immer wieder Bauchschmerzen, war stellenweise kurz vorm Kotzen, wurde fahrig / zittrig… Ich fühlte mich wie in einer anderen (und ganz komischen) Dimension, irgendwas zwischen himmelhoch jauchzender Glückseligkeit und zugleich dem fürchterlichsten Bangen.
Dritter Akt: das unendliche Warten auf die AKU
Der Tag der Abreise steht an. Am Morgen gilt der erste Griff um Punkt 8:00 Uhr dem Telefon, denn der TA ist aus dem Urlaub zurück. Die AKU wird bestellt. Ja, diese Woche sei es noch möglich, wird mir prognostiziert. Im Folgenden muss ich die Praxis in den Wahnsinn getrieben haben, denn es braucht mehrere Anläufe, bis ich eine konkrete Zusage bekommen kann. Das Team ist super nett und erbarmt sich meiner. Immerhin habe ich sie geradezu angefleht: am 16.01. ist mein Geburtstag. Mit einer möglichst schnell erfolgenden AKU könne mein Traum, Rose an jenem Tag abzuholen, Realität werden. Welch bescheuerter, unsachlicher Grund…
Zwischenspiel: Pardautz!
Inzwischen wurde der Kaufvertrag unterschrieben — vormittags gegen 10:00 Uhr rum. Nachdem die Unterschriften drunter stehen, sage ich “Eigentlich begießt man so etwas doch mit einem Schnaps oder so.…” — “Ja klar, ich hole nen Kümmerling!” heißt es darauf. Auf meinen Einwand, es sei doch nur ein Scherz gewesen und es sei noch früher Vormittag kommt nur ein “Des basst scho, wir sind hier in Bayern!”. Zu geil.
Eine halbe Stunde später reite ich Rose. Ihr Auge sieht inzwischen wieder halbwegs gut aus, sodass sie — wenn auch nur unter größter Vorsicht — getrenst werden kann. Beim Angaloppieren passiert dann irgendwas. Es geht so schnell, dass ich es bis heute nicht richtig wieder geben kann. Unterm Strich kann ich nur festhalten: ich schaue plötzlich von unten zu ihr herauf und habe dabei die Zügel noch in der Hand. Sie schaut derweil zu mir herunter und scheint zu fragen “Was war das denn jetzt? Wieso bist Du da unten?!?”.
Fazit: Laut Aussagen der angestellten Reitlehrerinnen bin ich der Erste, der es schaffte von ihr runter zu fliegen. Besser noch: Das Ganze erfolgt ca. 30 Minuten nach Unterzeichnung des Kaufvertrages. Und ich weiß nicht mal, warum…
Zurück zur AKU:
Wir sind inzwischen zuhause. Es erfolgt seitens der Tierarzt-Praxis die telefonische Zusage: Donnerstag, der 13.01.2022 soll es sein — gegen Mittag. Erneuter Anruf: Nein, es wird doch abends. Ich hinterlasse eine Nachricht an den TA: Bitte bitte bitte ruf mich am gleichen Abend an. Egal wann — und sei es mitten in der Nacht!
Emotional bin ich inzwischen — ohne jede Übertreibung — ein wandelndes Wrack. Ich will mich auf das Kommende freuen können — erlaube es mir aber nicht. Zu groß ist die Angst vor einer bitteren Enttäuschung. Entgegen meiner sonstigen, felsenfest verankerten optimistischen Denk- und Lebensweise mutiere ich zum größten Pessimisten, gehe immer vom Schlimmsten aus und fürchte zugleich dasselbe: ein negatives Ergebnis der AKU. Das Gedankenkarussell macht mich zwischenzeitlich schier wahnsinnig. In Momenten der Schwäche habe ich spontan Tränen in den Augen und komme mir so langsam völlig bescheuert vor.
In der Firma werde ich von den anderen besorgt auf meine offensichtlich schlechte Verfassung angesprochen — ich wiegle die Fragen mit einem “Habe in den letzten Tagen schlecht geschlafen” ab. Die Wahrheit kennt bis dahin ja noch keiner…
Donnerstag, 20:37 Uhr: der TA ruft an.
Vierter Akt: Erlösung
Aussage des TA: Beim Röntgen habe es ein unklares Bild gegeben, welches noch im Detail abgeklärt werden müsse. Mir dreht sich der Magen um. Den genauen Inhalt des Gesprächs bekomme ich nicht mehr auf die Reihe, nur noch meine Bitte, er möge mir — ohne dass ich ihn festnageln würde — doch bitte einen prozentualen Wert geben, mit dem ich rechnen könne, dass alles gut gehen könne.
Darauf kam sinngemäß die Antwort “Nein nein, Herr Keller, da haben Sie mich falsch verstanden. Schlimme Diagnosen kann ich definitiv ausschließen; es besteht gar kein Zweifel, dass sie das Pferd nehmen können!”.
Die Last, die mir in diesem Moment von den Schultern gleitet, konnte ich geradezu physisch spüren. Die Gewissheit drängt sich aber nur langsam ins Bewusstsein. Ich erinnere mich nur noch daran, dass ich mich mehrfach für den Anruf zu später Stunde bedankte — danach floh ich erst einmal aus dem Raum. Ich brauchte eine Minute, um mich zu fangen.
Rose gehörte endgültig mir, der lang gehegte Traum war soeben Realität geworden!
Die ersten Minuten nach der Explosion
Donnerstag, 20:44 Uhr: ich tippe eine WhatsApp in unsere firmeninterne Gruppe:

Willkommen in meinem Leben, Rose. Willkommen in meinem Leben, Du exakt meinen vorherigen Vorstellungen entsprechender Wallach Stute mit 1,70+m knapp 1,60m Stockmaß, am liebsten Brauner, auf gar keinen Fall Schecke oder Schimmel (!), Braunschecke, mit Ausbildungsstand L‑fertig , ehemaliges Schulpferd irgendwo um A‑halbfertig…
Wie zum Henker kann das genaue Gegenteil dessen, was man sich (vermeintlich) wünschte, einfach nur so unglaublich perfekt sein?!?
16.01.2022
Meinen Geburtstag feiere ich mit Sonja und unserem Freund Magnus “Maggi”, der uns seine Zeit schenkte und als Ersatzfahrer begleitete, auf deutschen Autobahnen. Trotz Erfahrungen mit zahlreichen Hängerfahrten mitsamt Pferd war mir eine allein angetretene Strecke von über 400 km doch etwas zu riskant.
Hinten im Hänger mümmelt Rose derweil ununterbrochen am Heunetz, wie wir mittels Kameraüberwachung jederzeit nachvollziehen können. Sie steckt das Ganze extrem cool weg. Sie schwitzt nicht mal. Dieses Pferd ist einfach — im Gegensatz zu mir — unfassbar cool.
Bei unserer Ankunft finden wir ihre Box vorbereitet und beschriftet vor.
Das erste Foto, untermittelbar nach der Ankunft:

Epilog: “Dornröschen”
Im neuen Stall gibt es bereits eine “Rose”. Ich wurde daher gefragt, ob meine Rose einen anderslautenden Spitznamen habe — denn man wolle gerne irgendwelchen Verwechslungen vorbeugen. Am Ende wird mir “Dornröschen” vorgeschlagen. Begründung: Irgendwie sei ich ja “der Prinz, der sie aus ihrer bisherigen Lage befreit habe”…
Nun gut, die Formulierung ist meiner Meinung nach etwas zu dramatisch, hat aber einen ganz kleinen, wahren Kern. Ihre vorhergehende Haltung war super, die Menschen drumherum erst recht — aber es passte einfach nicht.
Dennoch mag ich die Analogie, denn irgendwie ist sie ja doch meine Prinzessin. Ihre leichte Neigung zur Drama Queen unterstreicht das Ganze noch.
Epi.… oder doch Prolog? — prägende Pferde
In meinem Leben gab es eine kleine Anzahl von Pferden, die mich stark beeinflussten. Sei es der durchgeknallte O‘Malley, der mich im Springen von 0 auf 100 auf L‑Höhen brachte — oder auch die Oberzicke Franzi, die ich so sehr mochte bis hin zu meiner bis-dato-RB “Whizz”, der einfach nur ein absolut gelassener, gutmütiger (wenn auch durchaus mit Ecken und Kanten versehener) Kumpeltyp ist, der mich fast 5 Jahre begleitete… Ohne auch nur eine Sekunde der gemeinsamen Zeit in Frage stellen zu wollen — keine® davon hat mich jemals so heftig ins Herz getroffen wie mein(e) Rose / Dornröschen. Sie ist die Personifizierung eines lange gehegten (und sich früher als erwartet erfüllenden) Traumes, mehr noch: Lebenszieles. Genauer: des letzten Lebenszieles. Und das in unfassbarer Perfektion!
- AC/DC live sehen: check (Stand heute: 7x)
- eigenes Haus: check
- Frau des Lebens finden: check
- Ein tolles Töchterlein bekommen: check
- Eigenes (Traum!-)Pferd: check.
Natürlich gibt es noch weitere Ziele — aber alles andere ist sekundär, optional, additional.
Himmelherrgottnochmal, was liebe ich dieses Pferd!
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