Ronja Räubertochter musste sich mit Wilddruden, Graugnomen und Rumpelwichten rumschlagen. Ich dagegen mit Versicherern. Die sind zwar weniger bedrohlich als die Wilddruden, dafür aber manchmal nervtötender als die Rumpelwichte. Pfui, pfui! Da muss man doch was gegen tun…
(Schreibkoller)
Pfui, pfui! Was sull dies bluß? (die Rumpelwichte)
Inhaltsverzeichnis
Ausgerechnet das augenscheinlich so simple Thema Tierhalterhaftpflicht (THV) stellt im Kontext Pferd die meisten Versicherer bzw. deren Mitarbeiter vor große Herausforderungen. Zitate von Innendienst-Mitarbeitern:
- “Wie jetzt? Muss man so ein altes Pferd noch reiten?” — (gebissloses Reiten)
- “Wie, ein Pferd einfach auf Halfter zum Ausritt mitnehmen? Das ist aber nicht mitversichert!” — (Handpferd)
- “Reitbeteiligung? Klar, kenne ich! Das ist, wenn sich zwei zusammen ein Pferd kaufen!” — (… O.O …)
- “Westernreiten? Klar kenne ich das. Das ist das, wo sich einer oben auf dem bockenden Pferd halten muss…” — (öööhm.… ja…)
Dazu kommen die inhaltlichen Probleme der Produkte:
- meist zu niedrige Deckungssummen (max. 10 oder 15 Mio. €)
- zu niedrige Sublimits (z. B. bei geliehenen Pferdehängern)
- “versteckte” Selbstbeteiligungen
- keine klare Regelung bei Reitbeteiligungen
- keinerlei Flexibilität bei nebengewerblicher Tätigkeit oder Nutzung (Reitlehrer, Schulpferd)
- keine (ordentliche) Forderungsausfalldeckung
- und und und…
Ronja, begreifst Du, dass wir frei sind? So frei, dass man vor Lachen platzen könnte? (Birk)
Als Makler ist man frei (in seiner Auswahl). Aber gleichzeitig beschränkt auf das, was halt da ist. Warum also nicht noch freier sein, die Gedanken mal fliegen lassen und das scheinbar Unmögliche versuchen? Warum nicht über den Burggraben springen?
Genau diesen Gedanken trug ich sehr lange Zeit in mir. Ich verwarf ihn aber immer wieder in der (irrigen) Annahme, dass sich doch eh kein Versicherer dazu herablassen würde, das Wort eines so kleines Wichtes wie mir (wirklich) ernst zu nehmen. Bis zu dem Tag, an dem mir ein Stellvertreter eines Versicherer den gleichen Gedanken entgegen warf. “Mensch Dennis — was Du hier treibst, ist total geil. Da müsste doch glatt mal ein eigenes Konzept herbei! Also eins von Dir selbst!”. Das war der Augenblick, in dem ich erstmal ungläubig aus der Wäsche schaute. Es kam zu weiteren Gesprächen und mir wurde klar, dass das tatsächlich ernst gemeint war. Fazit: Ich solle “da mal ein bisschen was an Ideen aufschreiben”, dann würde man weitersehen.
Genau das machte ich dann einige Zeit später auch. Ich merkte aber schnell, dass meine Ideen in kein starres, bestehendes Gefüge passen würden. Ich musste die Sache von Grund auf neu aufziehen. Einfach nur ein bisschen Ideen sammeln reichte nicht.
Also nahm ich das alte Bedingungswerk dieses einen Versicherers (dessen Namen ich hier aus gutem Grund verschweigen werde), setzte bildlich gesprochen die Flex an, machte das Ding kurz und klein und lies nur die Grundmauern stehen. Danach setzte ich alles komplett neu auf. Nach ca. 4 Monaten stand das grobe Grundgerüst. Ergebnis: rund 30 Seiten Kleingedrucktes — ein komplettes, selbst geschriebenes Bedingungswerk. Ich schlug mir damit einige Monate lang die Nächte um die Ohren, tippte mir die Finger wund und bekam viereckige Augen. Teilweise fiel ich erst ins Bett, als die Sonne über den Horizont stieg.
Nachdem ich neben dem Bedingungswerk eine ganze “Anleitung” zu dieser THV inkl. Marktbeobachtung, Marketingkonzept und einer groben Kalkulation entworfen hatte, versandte alles zusammen per Mail an den Versicherer.
Drei Tage lang herrschte Schweigen.
Am dritten Tag kam spät abends eine Mail. Inhalt: “Aaaalter.…. sowas hab ich noch nie erlebt. Wie krass bist Du denn?!?”.
In den folgenden Monaten kam es zu einer ganzen Kette an Ereignissen mit teils dramatischen Wendungen; im Rückblick möchte ich sagen: das was kam, hatte was von einem Thriller… Aber der Reihe nach: Zum einen wurde ich in 2017 für den “Jungmakler-Award” nominiert und konnte mich gegen rd. 120 Mitbewerber bis in die Top 10 durchsetzen. Die Jury bestand zum großen Teil aus Vorstandsmitgliedern diverser Versicherer und anderer “hochrangiger” Personen. U. a. war ein Vorstandsmitglied eben jenes Versicherers dabei, mit dem das Konzept umgesetzt werden sollte.
Im Rahmen meines Vortrages / meiner Präsentation erwähnte ich zum Schluss mein nahezu marktreifes Konzept und warf mittels Beamer das (an dieser Stelle anonymisierte) Bedingungswerk an die Leinwand. Dem besagten Vorstandsmitglied muss sofort die Schriftart und Farbgebung aufgefallen sein — denn ich sah in gleicher Sekunde sofort ein Blitzen in seinen Augen. Strike! Das gleichzeitig auch die Augen eines anderen Jury-Mitglieds aufblitzten, war mir nicht entgangen…
Ich konnte im Vorfeld einfädeln, dass meine Präsentation die letzte vor einer Kaffeepause der Jury war (Danke an mein damaliges internes Spitzelchen — bist ein Schatz!), so konnte ich das besagte Jury-Mitglied bzw. er mich direkt nach meiner Präsentation abfangen. Ich übergab ihm einen USB-Stick mit meinen Ausarbeitungen und wir tauschten unsere Visitenkarten aus. Somit lag mein Konzept ohne Umwege direkt in der obersten Chef-Etage! Wenige Tage später telefonierten wir. Ich bekam von ganz oben das “Go!” und wir stiegen in die Arbeiten zur Umsetzung des Ganzen ein. Es ging also wirklich los!
Wiesu tut er su? (die Rumpelwichte)
Nur kurze Zeit später bekam ich einen Anruf aus der Chef-Etage eines zweiten Versicherers; man lud mich auf ein Schwätzchen bei Kaffee und Keksen auf einer Messe ein. Denn: ein Vorstands-Mitglied hatte von meinem Konzept Wind bekommen und äußerte starkes Interesse. So fand ich mich mal wieder mit einigen hochrangigen Vertretern eines Versicherers auf der 2. Etage deren Messestandes wieder.
Mein Problem dabei: Ich ahnte es von der ersten Sekunde an, dass so was kommen könnte. Denn dieses besagte Vorstandsmitglied, dass nun zum Kaffee einladen lies, saß auch in der Jury zum Jungmakler-Award. Er war es, dessen Augen ebenfalls aufblitzen, als ich meinen Entwurf zum Deckungskonzept an die Leinwand warf. Wahrscheinlich, weil die Logos beider Versicherer einen fast identischen Farbton aufweisen, sich dieser Farbton zugleich in den Überschriften derer Bedingungswerke wiederfindet und er es vielleicht verwechselte? Wer weiß.
Warum das Ganze nun ein Problem war? Weil ich beim ersten Versicherer bereits verbindliche Aussagen gemacht hatte. Ein “Fremdgehen” würde massiv gegen mein Kaufmanns-Ehrenwort verstoßen, also fand ich mich in einem schweren Dilemma wieder.
Der Zufall half mir auf die Sprünge: der erste Versicherer konnte maximal 20 Mio. € Deckungssumme anbieten, der zweite aber die von mir gewünschten 50 Mio. €. Klasse Sache! Denn so konnte ich mein Konzept nun ohne Gewissenbisse auf breitere Beine stellen. Sollte doch jeder von beiden Versicherern eine Version raus bringen — einmal mit 20 und einmal mit 50 Mio. € Deckung!
Netter Nebeneffekt: der zweite Versicherer genoss bei mir sehr hohe Sympathien. Wenn mir nicht mein Wort im Weg gestanden wäre, hätte ich mich sofort ganz alleine mit diesem Versicherer zusammengetan. Was für ein schöner Zufall!
In den folgenden Monaten zeigten sich aber massive Probleme. Ich bekam beide Versicherer nicht auf eine Linie. Im Bedingungswerk konnte der eine dies nicht, der andere jenes nicht, in der Technik hakte es brutal und das ganze Projekt versank immer tiefer im Sand. In mir wuchs die Erkenntnis: Ich muss einen der beiden Versicherer über Bord schmeißen, sonst würde das ganze Projekt scheitern. Schweren Herzens wurde es mein eigentlicher Wunsch-Versicherer, also die “Nr.2.”
Wo ist das Menschlein, wo ist es, wo ist es? Komm hervor, dann zerkratzen wir dich, dann zerfetzen wir dich, das Blut soll fließen, hoho! (die Wilddruden)
Auch mit nur einem Versicherer im Boot zog sich die Sache ewig lange hin. Im Oktober 2018 hatte ich auf einer großen Messe wieder ein persönliches Treffen mit dem Vorstand des Versicherers, diversen Abteilungs- und Bereichsleitern und wie aus dem Nichts heraus hieß es plötzlich: wir sind startklar! In drei Wochen sind wir auf dem Markt! Ich war völlig perplex und wandte ein, dass ich aber noch nicht startklar sei, da müssten ja noch Vorbereitungen laufen, usw…! Ab da wurde es plötzlich komisch.
Es hieß: “Ja Herr Keller, wie Sie wissen, wollen wir ja ebenfalls mit einer neuen THV auf den Markt gehen, da müssen Sie jetzt schon Gas geben! Wir geben Ihnen einige Wochen Vorsprung, aber dann kommen wir selbst!”. Das war mir in der Tat bekannt und die Absprache war: bringt ruhig einen dicken Mercedes auf den Markt — mein Konzept muss aber der noch dickere AMG-Mercedes sein!
Jaja, hieß es da immer — dies würde auch so geschehen. Nach Monaten de Stillstandes sollte es nun aber ganz plötzlich im Hauruck-Verfahren gehen… Ich würde in den nächsten 24 Stunden die endgültige Fassung meiner THV per Mail bekommen, danach sollte wieder telefoniert werden. Ich war gespannt, aber zugleich auch etwas überrumpelt.
Am Tag nach der Messe wurde mir die endgültige Fassung “meines” Konzeptes per Mail zugesandt. In Form eines Sideletters (auf deutsch: einer Ergänzung zum Standard-Bedingungswerk). Sein Umfang: eine DIN-A-4-Seite… Eine DIN-A-4-Seite? Wo mein Konzept auf über 30 Seiten niedergeschrieben wurde? Ich war perplex. Noch perplexer war ich, als ich den Inhalt der einen Seite überflog: Die wenigen “Verbesserungen” enthielten sogar zwei Verschlechterungen gegenüber dem sowieso schon unterdurchschnittlichen Standard-Bedingungswerk des Versicherers! Ich rief dort an und fragte, ob man sich vertan habe und mir versehentlich eine falsche Datei zugesandt habe. Die Antwort: Nein nein, das würde alles so stimmen…
Ich war vom Blitz getroffen. Was zum Henker sollte das?!?
Es kam sogar noch dicker. Ich weiß zwar nicht, wie man so blöd sein konnte, aber man sandte mir doch tatsächlich das neue Bedingungswerk zu, dass der Versicherer unter eigener Flagge veröffentlichen wollte. Dreimal darfst Du raten: Richtig — es handelte sich um mein Bedingungswerk! Man hatte mich rotzefrech bestohlen und meiner Ideen beraubt! Ein großer Versicherer beraubt einen kleinen Makler seiner hart erarbeiteten Ideen und speist den kleinen Deppen mit etwas ab, dass nicht mal einen Dreck wert ist. Ich dachte, ich steh im Mattiswald…
Hab ich gesagt, ich werde reiten, dann reite ich auch, verstehst du? (Ronja)
Ich brauchte ein paar Tage, dann hatte ich mich wieder gefangen. Ich telefonierte mit Versicherer Nr. 2. Es wurde sehr schnell eine Telefonkonferenz anberaumt — sie begann mit den Worten “Na, kommen Sie jetzt zur verstoßenen Witwe zurück gekrochen?”.
Was aber mit einer solch harten Begrüßung begann, wurde zu einer traumhaften Zusammenarbeit. Das Bedingungswerk wurde nun richtig entwickelt. Quasi Hand in Hand arbeitete ich mit der Produktentwicklung zusammen und jetzt legte ich meine vollen Gedankengänge offen. Diesmal lieferte ich nicht nur den Rohdiamanten — jetzt gingen wir ins Eingemachte. Unzählige Mails flogen hin und her, es wurde telefoniert und wir tippten uns die Finger wund. Die Sache ging irgendwann in die Kalkulation, wurde teils zäh verhandelt, passierte die Rechtsabteilung — und dann kam das pure Grauen: die Technik. Es dauerte gefühlt unendlich lange Monate, bis wir die Technik endlich stehen hatten. Teilweise war es zum Verzweifeln — alleine über diesen Part könnte ich ein Buch schreiben.
Es folgte die erste Testphase. Es traten Probleme auf, die sogar Anpassungen im Bedingungswerk erforderten. Die Produktentwicklung musste ran. Die Aktuare. Die Rechtsabteilung. Ich dachte stellenweise, ich drehe durch…
Weitere Testphase.
Korrekturen.
Die Einarbeitung des Teams im Hintergrund läuft an, Produktschulungen bei mir im Büro und in Bad Kreuznach finden statt.
Weitere Testphase.
Korrekturen.
Es.… es läuft. Himmel, es läuft!
Feinschliff.
Testlauf.
Feinschliff.
Testlauf.
Fertig.
Unfassbar — wir sind fertig!!
“Halt Dir die Ohren zu, denn jetzt kommt mein Frühlingsschrei!, sagte Ronja…
Auf Facebook erscheint mein neues Profilbild: “Es ist an der Zeit, neue Wege zu gehen…”
Dann der Countdown: 3, 2, 1.…
Nach knapp 1.000 Tagen, unendlichen, teilweise bis tief in die Nächste andauernden Stunden am PC, unendlich vielen und teils stundenlangen Telefonaten waren wir am 21.09.2018 um 00:35 Uhr online.
… und sie schrie, dass es von den Bergen widerhallte.
Endlich online! Hier geht´s zur (wahrscheinlich) besten Pferdehalterhaftpflicht aller Zeiten
Schreibe einen Kommentar